Das deutsche Asylverfahren ist ein komplizierter Prozess, der selbst für Menschen mit sehr guten Deutschkenntnissen nur schwer nachzuvollziehen ist. Ein Flüchtling, nicht nur weil er zumeist vorerst kein Deutsch spricht, ist deshalb in der Regel auf einen kostenpflichtigen Anwalt angewiesen, da er andernfalls – und gänzlich unabhängig von seinen Fluchtgründen – kaum eine Chance hat, einen positiven Asylbescheid zu erlangen. Theoretisch kann ein Flüchtling in Deutschland dann Asyl erhalten, wenn es ihm gelingt nachzuweisen, dass er in seinem Heimatland politischer oder geschlechtsspezifischer Verfolgung ausgesetzt ist. Hungersnöte, Kriege und Naturkatastrophen sind in Deutschland keine anerkannten Asylgründe. Für letztere Fälle kann ein (zeitweiliges) Abschiebeverbot erwirkt werden, wenn die Antragsstellenden in ihrem Heimatland der Gefahr von Freiheit, Leib und Leben ausgesetzt wären.

Die Dublin-III Verordnung gibt vor, dass der Mitgliedsstaat, in welchem ein Flüchtling erstmals europäisches Territorium betritt, für das weitere Asylverfahren zuständig ist. Der Reiseweg des Flüchtlings spielt für die Bestimmung der Zuständigkeit daher eine zentrale Rolle, der eigentliche Fluchtgrund verliert an Bedeutung. Wenn nachgewiesen wird, dass ein Flüchtling ein innereuropäisches Land über einen sogenannten sicheren Drittstaat erreicht hat, darf er in diesen Drittstaat abgeschoben werden. Damit entziehen sich die Kernländer der EU (auch und vor allem Deutschland) nicht nur ihrer Verantwortung zur Einhaltung der Menschenrechte, sondern verweigern sich auch einer gemeinsamen politischen Lösung in Europa.
Neben restriktiven Verfahren auf fassbarer gesetzlicher Basis findet institutioneller Rassismus auch auf weniger klaren Grundlagen statt. Wir wollen die Rolle der europäischen Grenzschutzagentur Frontex hervorheben, welche im Graubereich zwischen staatlicher und supranationaler Kompetenzebene arbeitet. So ist die Agentur als Instrument der Abschottungspolitik der Mittelmeeranrainerstaaten zumindest indirekt an der Verhinderung von Einreise beteiligt. Teilweise kommt es dabei zu sogenannten „pushbacks“, also Rückführungen von einreisewilligen Flüchtlingen, ohne dass diese die Möglichkeit erhalten, einen Asylantrag zu stellen. Bekannt werden immer nur Einzelfälle, wie etwa in Malta 2013. Auffallend ist zudem, dass die Mitgliedstaaten der EU völlig unzureichend auf die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer reagieren. Die Folge sind unzählige in Seenot geratene Boote.

Trotz der europäischen Abschottungspolitik hat sich die Zahl der in Europa ankommenden Flüchtlinge in den letzten Jahren wieder stark erhöht. Nach Angaben des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) wurden im ersten Halbjahr 2014 in den 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union 216.300 Asylanträge gestellt – rund 23 % mehr als im selben Zeitraum im Jahr 2013. Die Gründe für den Anstieg liegen auf der Hand: Anhaltende militärische Auseinandersetzung und Bürgerkriege wie in Afghanistan und Syrien führen zu enormen Migrationsbewegungen. Die in Europa ankommenden Flüchtlinge sind jedoch nur ein Bruchteil im Vergleich zu den in der Ursprungsregion verbliebenen. Bis Ende 2013 waren weltweit 51 Millionen Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Nur wenige gelangten in die wirtschaftlich reichen Zentren: 86 % der vertriebenen Menschen verblieben in Entwicklungsländern. In Relation zur ortsansässigen Bevölkerung ist der Anteil an Geflüchteten im Libanon am größten. Dort kamen 2013 auf 1.000 Einwohner 178 geflüchtete Personen.  Zum Vergleich: In Deutschland kamen im selben Jahr auf 1.000 Einwohner etwa 1,5 Geflüchtete.

Aus der Drittstaatenregelung resultiert die ungleiche Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Wir möchten betonen, dass die Einstufung der Drittstaaten als sicher nicht zwangsläufig bedeutet, dass keine individuelle Verfolgung aus politischen Gründen dort stattfinden kann. Wer aus einem als sicher eingestuften Land nach Deutschland flieht, muss seine politische Verfolgung nachweisen können. Wie wohl auf den ersten Blick ersichtlich – und augenscheinlich vom Gesetzgeber einkalkuliert –, ist eine derartige Beweissicherung in der Praxis nicht möglich. Der Umstand vor politischer Verfolgung geflohen zu sein, erschwert oder verhindert gar die Möglichkeit der Beweissicherung. Wer flieht, hat in der Regel keine Zeit, Beweise für die politische Verfolgung mitzunehmen. Nach Angaben von PRO ASYL, einer Organisation, die sich für die Rechte von Flüchtlingen und die Verbesserung ihrer Lebenssituation einsetzt, wurden 2013 nur 38,5 % der Fälle abgelehnt. 36,7 % der Anträge wurden allerdings gar nicht erst inhaltlich geprüft, etwa weil gemäß der Dublin-III-Verordnung eine Rückführung in ein als sicher eingestuftes Land möglich war. Auf Grundlage des Grundgesetzes wird gerade einmal 1,1 % der Geflüchteten Asyl gewährt. Der Rest erhält einen Schutzstatus gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (12,4 %) oder subsidiären Schutz (11,4 %). Nicht jeder abgelehnte Asylantrag bedeutet, dass die Betroffenen Deutschland verlassen müssen. Wenn sie nicht reisefähig sind, kein Pass für eine Rückkehr vorliegt oder die Situation im Herkunftsland eine Rückreise nicht zulässt, erhalten sie eine sogenannte Duldung bis die Abschiebung möglich ist. Dieser Status bleibt oft über Jahre unverändert.

Diese Seite wurde zu zuletzt am 1. März 2015 bearbeitet.

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